Marja-Liisa Völlers: Effektive Drohnenabwehr wird einige Zeit in Anspruch nehmen
„Russische Drohnen über Nato-Territorium sind eine sehr ernste Bedrohung unserer gemeinsamen Sicherheit in Europa und ganz besonders auch unserer Sicherheit in Deutschland“, sagt Marja-Liisa Völlers (SPD), Leiterin der deutschen Delegation zur Parlamentarischen Versammlung der Nato, die vom 10. bis 13. Oktober 2025 zu ihrer 71. Jahrestagung in Ljubljana (Slowenien) zusammenkam und sich vorrangig über schnelle und wirksame gemeinsame Maßnahmen auf diesem Gebiet ausgetauscht hat. „Drohnen verändern spürbar die Art der Kriegsführung“, so die Verteidigungspolitikerin. „Russland testet damit die Wehrbereitschaft des Bündnisses. Wir sollten diesen Provokationen besonnen und entschlossen entgegentreten.“ Deutschland sei bereit, eine Führungsrolle bei der europäischen Luftverteidigung zu übernehmen. Im Interview spricht die Abgeordnete aus dem niedersächsischen Wahlkreis Nienburg II – Schaumburg darüber, was gegen den russischen Angriffskrieg wirklich wirkt, was für eine strake Rolle die Europäische Union Seite an Seite mit der Nato spielt und welche Botschaft der Nato-Generalsekretär den Parlamentariern mitgegeben hat. Das Interview im Wortlaut: Frau Völlers, die Vielzahl an Vorfällen mit Drohnen, die in jüngster Zeit den Luftraum von mindestens sieben Nato-Mitgliedern verletzt haben, lässt vermuten, dass sich die Parlamentarier bei ihrer Herbsttagung mit diesem Thema befasst haben. Es gab zahlreiche beunruhigende Nachrichten. Bitte ordnen Sie das Thema Drohnen mal ein. Was kommt da auf uns zu? Wie schätzen die Parlamentarier die Gefahr ein? Ja, das Thema Drohnen war ein wichtiges Thema in den Ausschüssen und im Plenum der Herbsttagung. Es wurde dazu auch ein Bericht vorgestellt und eine Resolution verabschiedet. Drohnen und Drohnenabwehr verändern spürbar die Art der Kriegsführung, wie wir an der Entwicklung im Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine täglich sehen können. Die jüngsten Vorfälle in mehreren Ländern und in Deutschland zeigen, dass die hybride Bedrohung real ist. Die EU hat bereits vor drei Jahren mit der Drohnenstrategie 2.0 reagiert und fördert seither die Produktion von Drohnen für zivile und militärische Anwendungen. Jüngst hat die EU einen Vorschlag für den Aufbau eines Drohnen-Abwehrsystems an ihrer Ostflanke vorgelegt. Dieser wird gerade breit diskutiert und voraussichtlich beim regulären EU-Gipfel Ende Oktober angenommen. Danach sind die Mitgliedstaaten gefordert, die notwendigen Fähigkeiten zur Drohnenabwehr aufzubauen. Übrigens hat in diesen Tagen Verteidigungsminister Boris Pistorius für Deutschland die Bereitschaft erklärt, die Führung bei dem Drohnen-Abwehrsystem und dem europäischen Luftverteidigungsschild insgesamt zu übernehmen und in den kommenden Jahren zehn Milliarden Euro seitens Deutschlands für die Beschaffung von Drohnen aller Art auszugeben. Will Russland die Nato als Ganzes provozieren? Von feindlichen Drohnenüberflügen betroffene Länder wie Polen fordern eine angemessene Reaktion des Bündnisses. Wie müsste die, auch im Wiederholungsfall, aussehen? Sicherlich testet Russland damit die Wehrbereitschaft des Bündnisses und sicher ist dies eine sehr ernste Bedrohung unserer gemeinsamen Sicherheit in Europa und ganz besonders auch unserer Sicherheit in Deutschland. Wir sollten aber besonnen und entschlossen diesen Provokationen entgegentreten. Putin testet die Resilienz der Nato-Staaten und will unsere Gesellschaften, auch ganz besonders die deutsche, verunsichern und spalten. Wir müssen die richtigen Schlussfolgerungen daraus ziehen und bündnisweit die notwendigen gesetzlichen Rahmenbedingungen schaffen, um eine zügige, effektive und abgestimmte Strategie für die Drohnenabwehr zu ermöglichen. Die durch Polen eingeforderten Konsultationen nach Artikel 4 des Nato-Vertrages sind an sich schon ein sehr starkes Signal an Putin. Damit unterstreicht die Nato, dass hybride Angriffe auf das Bündnis nicht folgenlos bleiben. Gleichzeitig ist es klug, Putin im Ungewissen zu lassen über die Art und Weise, wie das Bündnis bei weiteren Provokationen reagieren wird. Zahlreiche Länder, darunter auch die Nato-Mitgliedstaaten, unterstützen seit drei Jahren die Ukraine bei ihrem Abwehrkampf. Aber es herrscht kein Krieg zwischen dem Bündnis und Russland. Der Nato wurde eher eine Art unerklärter Krieg aufgezwungen, sie befindet sich mittlerweile in verschiedensten Bereichen in ständiger Abwehrbereitschaft, oder? Richtig, das Nato-Bündnis ist nicht im Krieg mit Russland, aber als Folge des Angriffskrieges Russlands gegen die Ukraine und der fehlenden Bereitschaft auf russischer Seite, den Krieg zu beenden, haben das Bündnis und die Europäische Union in den letzten drei Jahren ihre sicherheitspolitische Doktrin angepasst. Neben der finanziellen und materiellen Unterstützung der Ukraine ist die Nato dabei, die Abschreckung an der gesamten Ostflanke zu erhöhen und militärisch zu verstärken. In Litauen entsteht die Brigade Litauen, die bis 2027 die erste dauerhafte Stationierung deutscher Soldaten und Soldatinnen unter deutscher Führung im Ausland beinhalten wird. In Lettland ist unter kanadischer Führung die Stationierung einer Nato-Battle-Group im Aufbau, und in Estland steht die Battle-Group unter britischer Führung. Weiter südöstlich, in Rumänien, ist Frankreich die Führungsnation der Nato-Battle-Group. Haben Sie als Parlamentarier und Kontrolleure der Exekutive den Eindruck, dass die Regierungen der Mitgliedstaaten die Lage im Griff haben und der Schutz von Bürgern und Bündnisgebiet gewährleistet ist? Sowohl die Mitgliedstaaten der Nato als auch der Europäische Union, ebenso wie beide Organisationen selbst, reagieren bereits entschlossen auf die hybriden Angriffe Russlands. So hat die EU im März dieses Jahres mit dem „ReArm Europe“-Plan die Voraussetzungen geschaffen, den Mitgliedstaaten aus kombinierten nationalen Investitionen, EU-Finanzierungsmechanismen und privatem Kapital ein Finanzvolumen von bis zu 800 Milliarden Euro zur Verfügung zu stellen. Damit sollen die Verteidigungsfähigkeiten ausgebaut und Fähigkeitslücken geschlossen werden. Ein Element des ReArm Europe-Plans ist die SAFE-Verordnung (neues Finanzinstrument der EU zur Unterstützung von Mitgliedstaaten zu abgestimmten Investitionen im Bereich der Verteidigungsindustrie, Anm.d. Red.). Sie ermöglicht die Ausgabe von langfristigen und zinsgünstigen Krediten an die Mitgliedstaaten sowie an assoziierte Drittstaaten wie Kanada und das Vereinigte Königreich in einem Volumen von 150 Milliarden. Euro. Zusätzlich befindet sich das 19. Sanktionspaket gegen Russland gerade in der finalen Abstimmung zwischen den Mitgliedstaaten. Darf sich das mächtigste Verteidigungsbündnis der Welt von einer neuen Billigwaffe wie den Drohnen derart vorführen lassen, dass man monatelang um die richtige Gegenstrategie ringt und erst einmal die nötige „Gegen-Technologie“ einkaufen muss? Erlebt das Bündnis damit eine technologische Schrecksekunde? Auf jeden Fall sollten die Drohnen bekämpft werden. Dafür müssen, wie bereits erwähnt, einerseits oft erst einmal die rechtlichen Voraussetzungen in unseren Staaten geschaffen werden. Zum anderen ist der Abschuss einer Drohne, anders als man landläufig annimmt, nicht so einfach. Erfolgreicher, das zeigt die Praxis im ukrainischen Verteidigungskrieg, sind elektronische Bekämpfungsmethoden wie Jamming (also das Stören von Signalen, meist durch den Einsatz von Funkstörsendern, „Jammern“, Anm. d. Red.), Hacken, kinetische oder Laserabwehr. Eine enge Kooperation der Nato und auch Deutschlands mit der Ukraine, die mittlerweile führend in diesem Bereich ist, wird gerade aufgebaut. Zurzeit findet neben der Ankündigung der Kommission, eine solche Drohnenverteidigung zu organisieren, auch eine breite Diskussion unter den Mitgliedstaaten statt. Deutschland wird einen Vorschlag zu einem Drohnenabwehrgesetz in den Bundestag einbringen – wobei viele rechtliche und praktische Fragen zu klären sind. Es wird auch darauf ankommen, ob die Interoperabilität der Systeme der Bundeswehr beziehungsweise der Polizeibehörden, die sich in dem Aufgabenfeld Zuständigkeiten teilen, funktioniert. Die Technologie muss zusätzlich hochmobil und schnell verlegbar sein. Daher wird die Arbeit an einer effektiven Drohnenabwehr einige Zeit in Anspruch nehmen. Gehört zur Abwehr der russischen Aggression nicht auch, den Kreml wirtschaftlich in die Knie zu zwingen? Braucht es neue, schärfere und schnellere Sanktionen? Ja, selbstverständlich gehört zur Abwehr der russischen Aggression auch, den Kreml wirtschaftlich zu schwächen. Wer einen brutalen Angriffskrieg führt, darf davon nicht profitieren. Sanktionen sind deshalb ein wichtiges und wirksames Mittel, um Russland die finanziellen Spielräume für seinen Krieg zu entziehen. Aber die bereits erfolgten 18 Sanktionspakete wirken sicherlich, und das 19. Sanktionspaket enthält zusätzliche Maßnahmen wie das Verbot von Flüssiggasimporten aus Russland, die Schließung finanzieller Schlupflöcher und weitere direkte Ausfuhrbeschränkungen für Güter und Technologien. Was gibt es für Ideen, die sogenannte russische Schattenflotte zu stoppen, mit der Russland weiter seinen Krieg finanziert und die eine ernste Gefahr für die Schifffahrt und das maritime Ökosystem darstellt? Brüssel hat im 18. Sanktionspaket mehr als vierhundert Schiffe gelistet und diese mit Hafen- sowie Dienstleistungsverboten belegt. Auch im bereits erwähnten 19. Sanktionspaket, sind weitere Verschärfungen enthalten. Die EU-Seesicherheitsagentur EMSA (engl. European Maritime Safety Agency, Anm. d. Red.) liefert Satellitenaufklärung, die in Echtzeit auf Ölspuren und verdeckte Aktivitäten hinweist. Sie hilft damit Mitgliedstaaten, gezielte Kontrollen durchzuführen. Die Nato und die EU haben ihre Abstimmung zur Infrastruktur-Resilienz ausgeweitet. Eine gemeinsame Task Force und eine Koordinierungszelle bei der Nato für kritische Untersee-Infrastruktur vernetzen Behörden und Industrie. Die Nato hat die Mission Baltic Sentry („Ostsee-Wache“, Anm. d. Red.) gestartet, um in der Ostsee präsenter zu sein und kritische Unterwasser-Infrastruktur erfolgreicher zu schützen. Die Delegationsleitungen aus Deutschland, Frankreich und Polen haben beschlossen, im sogenannten Format des „Weimarer Dreiecks“ stärker zusammenzuarbeiten. Was haben Sie konkret vor? Das erst bei der Frühjahrstagung in Dayton (USA) ins Leben gerufene Format eines parlamentarischen Dialogs zwischen unseren Delegationsleitungen haben wir in Slowenien fortgesetzt. Wir haben uns versichert, uns weiterhin für ein starkes Bündnis und einen gerechten Frieden in Europa einzusetzen und dazu eine Erklärung verabschiedet. Darin fordern wir unsere Regierungen auf, der Ukraine weiter militärische, humanitäre und finanzielle Unterstützung zukommen zu lassen sowie die notwendigen Luftverteidigungskapazitäten zur Verfügung zu stellen. Einig waren wir uns, dass das Vorhaben Eastern Sentry (Operation der Nato zur Verteidigung der östlichen Grenze des Bündnisgebietes, Anm. d. Red.) die Abschreckung entlang der Ostflanke stärken wird. Wir unterstützen es zudem, weitere Maßnahmen zur Verbesserung der Verteidigung, inklusive eines möglichen Drohnenwalls und der Überarbeitung der Einsatzregeln der Nato gegen Drohnenangriffe, zu prüfen. Während der Tagung sprach Nato-Generalsekretär Mark Rutte zu der Versammlung. Was war seine Botschaft? Rutte forderte, eine glaubhafte Abschreckung gegenüber Russland aufrechtzuerhalten und versicherte, dass die Nato die Ukraine weiterhin finanziell und materiell nachhaltig unterstützen werde. Er lobte das beeindruckende Durchhaltevermögen der Ukraine gerade in den letzten Wochen und hob die Erfolge bei der Bekämpfung der russischen Raffinerieinfrastruktur hervor, die für die Fortführung des Angriffskrieges so essenziell ist. Die Nato fokussiert sich derzeit auf Abschreckung an der Ostflanke durch den verstärkten Einsatz von Luftstreitkräften aus Bündnisländern. Großer Handlungsbedarf, so Rutte, ist bei der Abwehr russischer Sabotage- und Spionagetätigkeiten erforderlich. Er forderte uns Abgeordnete auf, den Bürgerinnen und Bürgern die Bedeutung von Investitionen in den Verteidigungsbereich zu erläutern, um Sicherheit, Freiheit und Demokratie zu verteidigen. Seit Juli dieses Jahres leiten Sie die deutsche Delegation zur Nato PV. Jetzt wurden Sie zudem zur künftigen Schatzmeisterin der Versammlung gewählt. Was für Impulse wollen Sie setzen? Ich freue mich, dass die Versammlung mir das Vertrauen ausgesprochen hat, diese wichtige Aufgabe zu erfüllen. Die klassische Aufgabe einer Schatzmeisterin, die Finanzen, Einnahmen und Ausgaben der Versammlung zu verwalten und damit dafür zu sorgen, dass die wichtige politische Arbeit in der Versammlung erfolgreich stattfinden kann, ist meine Priorität für die kommenden sechs Jahre meines Mandats. (ll/20.10.2025)
