Knut Abraham besorgt über Entwicklungen in Georgien und Aserbaidschan
Besorgt über die Entwicklungen in Georgien und Aserbaidschan äußert sich der CDU-Bundestagsabgeordnete Knut Abraham. „Demokratie und Menschenrechte sind keine Selbstläufer, sondern müssen aktiv geschützt und bewahrt werden“, sagt der neue Leiter der deutschen Delegation zur Parlamentarischen Versammlung des Europarates (PVER), die vom 23. bis 27. Juni 2025 zu ihrer dritten Sitzungswoche in diesem Jahr in Straßburg zusammenkam. Der Europarat sei „eine wertebasierte Organisation, die nur dann effektiv und wirksam ist, wenn sie diese Werte verteidigt und konsequent danach handelt“. Im Interview spricht der Außenpolitiker und Diplomat aus Brandenburg über die Konflikte in und um Europa, das jetzt vereinbarte Sondertribunal, das die Aggression gegen die Ukraine aufarbeiten soll, sowie über die Ziele, die er sich als neuer Leiter der deutschen Delegation vorgenommen hat. Das Interview im Wortlaut: Herr Abraham, der Krieg in Gaza nahm in den zurückliegenden Sitzungswochen breiten Raum ein und wurde sehr kontrovers diskutiert, gar von einer Spaltung des Europarates war die Rede. Auch in der aktuellen Sitzungswoche gab es einen Tagesordnungspunkt zu einer Dringlichkeitsdebatte. Ist es der Versammlung gelungen, Konfliktursachen, Menschenrechtsverletzungen und humanitäre Fragen angemessen zu diskutieren? Die Rolle des Europarats besteht darin, die Wahrung der Menschenrechte und des internationalen humanitären Völkerrechts zu schützen. Das gilt auch, wenn wir über den Krieg in Gaza diskutieren. Trotz kontroverser Debatten hat die Versammlung eine von einer großen Mehrheit getragene Resolution verabschiedet. Darin wird die „sofortige und bedingungslose Freilassung aller Geiseln“, „ein sofortiger und dauerhafter Waffenstillstand im Gazastreifen“ sowie „die strikte Einhaltung der Verpflichtungen Israels nach dem humanitären Völkerrecht“ gefordert. Erneut war auch die politische Lage in Georgien, die dortigen Repressionen aus politischen Gründen, Thema. Was raten die Parlamentarier den Regierungen der Mitgliedstaaten, um in dem Machtkampf in der kleinen Kaukasusrepublik dem Recht zum Durchbruch zu verhelfen? Im Januar 2025 hatte die Parlamentarische Versammlung die georgische Delegation wegen der nicht aufgeklärten Manipulationsvorwürfe bei den Parlamentswahlen und der anschließend einsetzenden verstärkten politischen Repression suspendiert. Eine Rückkehr wurde an die Freilassung aller politischen Gefangenen und faire und freie Neuwahlen geknüpft. Diese Forderungen hat die Versammlung dann im April wiederholt. Aber dem hat die georgische Seite nicht entsprochen … Leider hat die Repression in Georgien dennoch zugenommen. Restriktive Gesetze gegen die Zivilgesellschaft wurden eingeführt, Oppositionsparteien wurden verboten und Politiker verhaftet. Wenn die georgische Regierung Wahlen manipuliert, politische Gegner einsperrt, die Meinungsfreiheit und das Versammlungsrecht einschränkt, dann verstößt sie massiv gegen Konventionen des Europarats. Artikel 3 der Statuten sagt: „Jeder Mitgliedstaat muss die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit und die Wahrnehmung der Menschenrechte und Grundfreiheiten durch alle seiner Hoheitsgewalt unterstehenden Personen anerkennen und aufrichtig und wirksam an der Verwirklichung der Ziele des Europarats mitwirken.“ Wenn diese Prinzipien jedoch systematisch verletzt werden, muss das Konsequenzen haben. Dann steht nämlich die Glaubwürdigkeit des Europarats auf dem Spiel. Was können Regierungen machen? Auch das Ministerkomitee kann nach Artikel 8 der Statuten mit der Suspendierung drohen, denn: „Jedes Mitglied des Europarates, das in schwerwiegender Weise gegen Artikel 3 verstoßen hat, kann von seinen Repräsentationsrechten suspendiert werden.“ Die rechtliche Aufarbeitung des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine nimmt schon jetzt die Dimension einer Generationenaufgabe an. Es geht um die Verletzung des Völkerrechts, der Menschenrechte, Personenschäden, Sachschäden … Ein Schadensregister, bei dem sich Betroffene melden können, wurde bereits eingerichtet, eine Entschädigungskommission und ein Sondertribunal sollen folgen. Was sollten diese Institutionen im Idealfall leisten und sollten sie an den Europarat angebunden werden oder eher an eine andere Organisation? Die Parlamentarische Versammlung des Europarates war die erste internationale Institution, die bereits im April 2022 ein Sondertribunal für das Verbrechen der Aggression gegen die Ukraine gefordert hatte. Nach langen Verhandlungen haben nun am 25. Juni 2025 der ukrainische Präsident Selenskyj und der Generalsekretär des Europarats, Berset, in Straßburg das bilaterale Abkommen zwischen dem Europarat und der Ukraine unterzeichnet und damit das Sondertribunal etabliert. … und damit eine Lücke im internationalen Recht geschlossen … Das ist von historischer Bedeutung, denn kein anderes internationales Gericht konnte bisher über das Verbrechen der Aggression, einschließlich der Planung, Vorbereitung und Ausführung von Aggressionshandlungen gegen die Ukraine, entscheiden. Der Europarat ist mit 46 Mitgliedstaaten die größte und älteste europäische Menschenrechtsorganisation. Es ist daher begrüßenswert, dass diese Institution jetzt die Verurteilung des Aggressionsverbrechens durch die russische Führung, ganz voran Präsident Putin, ermöglicht. Damit verteidigt der Europarat das Grundprinzip der regelbasierten Ordnung in Europa und dass Angriffskriege nicht als Mittel der Politik geführt werden dürfen. Jetzt müssen die Staaten die finanzielle und politische Unterstützung sicherstellen, damit die praktische Arbeit des Tribunals baldmöglichst beginnen kann. Hier ist auch die Bundesregierung gefragt, aktiv und mit gutem Beispiel voranzugehen. In einer Aktualitätsdebatte hat die Versammlung Kritik an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) aufgegriffen. Neun Mitgliedsländer hatten kürzlich dem EGMR vorgeworfen, straffällig gewordene Migrantinnen und Migranten zu stark vor Abschiebung zu schützen. Ist das unzulässige politische Einflussnahme, die die Unabhängigkeit der Richterinnen und Richter und die Neutralität des EGMR infrage stellt und die Europäische Menschenrechtskonvention untergräbt? Wie ist dazu die Stimmung in der Versammlung? Müssen die Parlamentarier den Richtern beispringen? Es steht außer Frage, dass der Europäische Menschenrechtsgerichtshof ohne politische Einflussnahme frei und unabhängig entscheiden kann und muss. Das ist das Prinzip dieser wichtigen Institution. In dem offenen Brief der Staaten, der nicht explizit an den Europarat gerichtet war, geht es vor allem um die Kontrolle der irregulären Migration. Der Menschenrechtsgerichtshof verhindert diese Kontrolle nicht, sondern zeigt auf, welche Bedingungen erfüllt werden müssen. Das ist seine Rolle. Es liegt nicht an der Politik, dem Gerichtshof vorzuschreiben, wie er die Konventionen auszulegen hat. Es ist jedoch wichtig, dass demokratische Regierungen in Europa das legitime Ziel der Kontrolle der Migration im Einklang mit der Europäischen Menschenrechtskonvention umsetzen. Am 15. Juni 1950 stimmte der Bundestag dem Beitritt Deutschlands zum Europarat zu. Dem 75. Jahrestag der Mitgliedschaft widmete sich kürzlich eine Plenardebatte im Bundestag. Was war und ist das Besondere, als Land dem Europarat anzugehören? Dass die Bundesrepublik fünf Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges dem Europarat beigetreten ist und sich zu den Werten der Demokratie, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit bekannt hat, war keine Selbstverständlichkeit. Bis heute ist das Besondere am Europarat, dass Staaten sich freiwillig der Europäischen Menschenrechtskonvention unterordnen und ihren Bürgern erlauben, sich an den Europäischen Menschenrechtsgerichtshof zu wenden, wenn sie befürchten, dass ihre Menschenrechte verletzt werden. Das ist einzigartig in der Welt. Der Europarat wurde als Klub für Demokratien geschaffen und sollte als Warnsignal dienen. Der Respekt der Menschenrechte, so der Kerngedanke, ist eine Voraussetzung für die Sicherheit aller Demokratien. Wenn sie verletzt werden, dann braucht es Institutionen, die dies frühzeitig erkennen und davor warnen. Demokratien wie Deutschland, die sich zu diesen Werten bekennen, haben ein Eigeninteresse daran, die Menschenrechte durchzusetzen. Welche Verpflichtungen resultieren aus der Mitgliedschaft? Deutschland hat sich verpflichtet, die Menschenrechtskonvention und viele andere Konventionen des Europarats zu achten und die Rechtsprechung des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofs zu respektieren. Demokratie und Menschenrechte sind keine Selbstläufer, sondern müssen aktiv geschützt und bewahrt werden. Das gilt für kleine wie für große Staaten. Deutschland hat auch eine besondere Verantwortung, mutig und entschlossen zu handeln, wenn Menschenrechte in anderen Mitgliedstaaten des Europarats wie heute in Aserbaidschan oder Georgien systematisch verletzt werden. Wir müssen das Warnsignal der Institutionen ernst nehmen, bevor es zu spät ist. Hier gilt es, rechtzeitig aus unseren Fehlern – wie dem Umgang mit Russland – zu lernen und mutig zu sein. Welche Bedeutung messen Sie der Versammlung als Organ der Parlamentarier beim Europarat bei? Unsere Aufgabe als Parlamentarier ist es, Regierungen zur Verantwortung zu ziehen, wenn wir Verletzungen der Konventionen feststellen. Wir schreiben Berichte, wählen die Richter des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofs und beteiligen uns an Wahlbeobachtungsmissionen oder an Monitoring-Mechanismen. Die Parlamentarische Versammlung war die erste Institution, die konsequent gehandelt hat, nachdem Aserbaidschan und Georgien sich zunehmend von der Demokratie verabschiedet und immer mehr politische Gefangene hatten. Beide Delegationen wurden nach mehreren Warnungen im Januar 2024 und im Januar 2025 aus der Versammlung suspendiert. Wir haben uns auch aktiv und als Erste für ein Sondertribunal für das Aggressionsverbrechen eingesetzt. Worauf kommt es jetzt an, damit der Europarat und der Gerichtshof auch in den kommenden 75 Jahren als geachtete Institutionen, ja Instanzen, wirkungsvoll für den Schutz der Menschenrechte eintreten können? Erstens müssen wir die Institutionen verteidigen, wenn sie unter Druck geraten, infrage gestellt oder von demokratiefeindlichen Regimen korrumpiert werden. Zweitens müssen wir die Werte und Prinzipien hochhalten, indem wir sie selbst konsequent umsetzen und in anderen Staaten verteidigen, wo sie verletzt werden. Dafür gibt es viele Instrumente, unter anderem den Europäischen Menschenrechtsgerichtshof. Wenn ein Staat jedoch alle Konventionen ignoriert und nicht mehr „aufrichtig und wirksam an der Verwirklichung der Ziele des Europarats“ mitarbeitet, dann müssen daraus Konsequenzen folgen. Georgien und Aserbaidschan sind heute ein Test für unsere Glaubwürdigkeit. Wenn rote Linien, wie der Einsatz von systematischer Folter oder die Inhaftierung von politischen Gefangenen, überschritten werden, dann muss auch das Ministerkomitee handeln. Der Europarat ist keine Dialogplattform wie die OSZE oder die Europäische Politische Gemeinschaft. Der Europarat ist eine wertebasierte Organisation, die nur dann effektiv und wirksam ist, wenn sie diese Werte verteidigt und konsequent danach handelt. Seit Anfang Juni steht die neue Delegation des Deutschen Bundestages, die Mitglieder wurden gewählt, und Sie zum Delegationsleiter. Außerdem wurden Sie von der Versammlung zu einem der Vizepräsidenten der Versammlung gewählt. Was haben Sie sich für Ihre Arbeit als Delegationsleiter, als Parlamentarier, im Europarat vorgenommen? In einer Zeit, in der Menschenrechte und das Völkerrecht zunehmend unter Druck geraten, durch Aggression von außen oder demokratiefeindliche Tendenzen von innen, ist es für mich besonders wichtig, dazu beizutragen, dass der Europarat als Menschenrechtsinstitution sichtbar und effektiv ist. Das Sondertribunal für die Ukraine begrüße ich sehr. Es ist eine Investition in den globalen Frieden, die Gerechtigkeit und die Glaubwürdigkeit des internationalen Rechts. Die besorgniserregenden Entwicklungen in Georgien und Aserbaidschan sowie die Zunahme von politischen Gefangenen in Mitgliedstaaten des Europarats sehe ich als besonders große Herausforderung für die nächsten Jahre. Dabei will ich mich auch für die bessere und effektivere Umsetzung der Urteile des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofs einsetzen und dazu beitragen, dass die letzte europäische Demokratie, die noch nicht Mitglied der Institution ist und alle Bedingungen erfüllt hat, bald Mitglied wird: das Kosovo. Ich hoffe besonders, dass Deutschland im Ministerkomitee eine proaktive und prinzipientreue Rolle spielen wird. (ll/03.07.2025)