Sachverständige begrüßen Gesetzentwurf zum Zuständigkeitsstreitwert
Ein Gesetzentwurf der Bundesregierung, mit dem die Amtsgerichte gestärkt werden sollen, war Thema einer öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz am Mittwoch, 5. November 2025. Die eingeladenen Sachverständigen aus Justiz und Anwaltschaft begrüßten den „Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Zuständigkeitsstreitwerts der Amtsgerichte, zum Ausbau der Spezialisierung der Justiz in Zivilsachen sowie zur Änderung weiterer prozessualer Regelungen“ (21/1849) grundsätzlich, machten aber zu einzelnen Punkten Änderungsvorschläge. Kurzfristig in die Anhörung einbezogen wurde ein Änderungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD zur Erhöhung der Rechtsmittelstreitwerte (Ausschussdrucksache 21(6)28). Vorgesehen ist im Entwurf unter anderem, den in Paragraf 23 Gerichtsverfassungsgesetz geregelten Zuständigkeitsstreitwert von bisher 5.000 Euro auf 10.000 Euro anzuheben. Außerdem soll in bestimmten Bereichen die Spezialisierung in der Justiz gefördert werden. Hintergrund ist laut Entwurf, dass die Zahl der erstinstanzlich bei den Amtsgerichten eingegangenen Zivilverfahren in den letzten Jahrzehnten immer weiter zurückgegangen ist. Diese Schwächung sei insbesondere für kleinere Amtsgerichtsstandorte problematisch. Die Fragen der Abgeordneten betrafen vor allem mögliche Auswirkungen der Erhöhung des Zuständigkeitsstreitwertes und des Rechtsmittelstreitwerts für Rechtsuchende, Gerichte und Anwälte. Ortsnaher Zugang zur Justiz gewährleistet Prof. Dr. Beate Gsell, Lehrstuhlinhaberin an der der Ludwig-Maximilians-Universität München und Richterin am Oberlandesgericht München, erklärte in ihrer schriftlichen Stellungnahme, durch eine Stärkung der Amtsgerichte werde der ortsnahen Zugang zur Justiz gewährleistet. Sie sprach sich dafür aus, die Auswirkungen der Streitwertanhebung zeitnah und kontinuierlich empirisch zu evaluieren. Die Wertgrenze für den Anwaltszwang sollte zunächst nur moderat angehoben werden, schlug die von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur Anhörung nominierte Sachverständige vor. Eine Anhebung der Wertgrenze für die Nichtzulassungsbeschwerde zum Bundesgerichtshof empfehle sich nicht. Diese Wertgrenze bleibe im Revisionsrecht ein systemwidriger Fremdkörper, der abgeschafft werden sollte. Marianne Krause, Mitglied des Bundesvorstandes Neue Richterinnen- und Richtervereinigung und Richterin am Amtsgericht, hält eine Anhebung des Zuständigkeitsstreitwertes für die Amtsgerichte auf 10.000 Euro aufgrund der stetig anhaltenden Entwicklung der Geldentwertung grundsätzlich für geboten. Die mit der Anhebung des Streitwertes einhergehende Stärkung der Amtsgerichte, insbesondere derjenigen in den Flächen-Bundesländern, sei zu befürworten, erklärte die von der SPD-Fraktion nominierte Expertin. Bei einer konsequenten Berücksichtigung der Geldentwertung und steigender Kosten seien aber auch die Rechtsmittelstreitwerte im Zivilverfahren anzupassen. Die mit dem Entwurf verfolgte Bildung streitwertunabhängiger und sachgebietsbezogener Zuständigkeiten der Amts- und Landgerichte verdiene Unterstützung, so Krause in ihrer Stellungnahme. Ressourcen der Amtsgerichte verbessern Heike Kremer, Stellvertretende Vorsitzende des Deutschen Richterbundes und Vizepräsidentin des Amtsgerichts Köln, die auf Vorschlag der CDU/CSU-Fraktion teilnahm, begrüßte wie Krause den Ausgleich der Geldwertentwicklung und die Spezialisierung der Gerichte. Eine echte Stärkung der Amtsgerichte gelinge aber nur, so Kremer in ihrer Stellungnahme, wenn sie personell, technisch und räumlich gut ausgestattet sind. Darum müssten die Amtsgerichte zeitgleich mit der Reform die nötigen Ressourcen erhalten. Zudem seien weitere Anpassungen nötig. Wie Krause nannte sie die Anpassung der Wertgrenzen für die Berufungen, Beschwerden und Verfahren. Die geplante Umsetzung zum 1.1.2026 werde ausdrücklich unterstützt. Auch Dr. Bernd Scheiff, Präsident des Oberlandesgerichts Köln, der ebenfalls auf Vorschlag der Unionsfraktion eingeladen wurde, begrüßte die Anhebung der Streitwertgrenze, mit der die inflationsbedingte Geldwertentwicklung seit der letzten Anhebung 1993 nachvollzogen werde, und die Einführung weiterer streitwertunabhängiger Zuständigkeiten der Landgerichte. Eine Stärkung der Amtsgerichte könne allerdings nicht alleine infolge einer Anhebung der Streitwertgrenze erfolgen. Sie müssten dauerhaft in der Lage sein, die große Bandbreite an rechtlichen Themen in angemessener Zeit und hoher Qualität zu bewältigen. Dies setze voraus, dass die Gerichte personell und sachlich gut ausgestattet sind, vor allem im Hinblick auf die Digitalisierung aller Lebensbereiche. Die Änderung der Streitwertgrenze dürfe nicht einem Personalabbau dienen, betonte Scheiff wie auch andere Experten vor ihm. Weitergehende Spezialisierung gefordert Der Rechtsanwalt Dr. Daniel Otte unterstützte den Entwurf, weil er die Erreichbarkeit der Justiz für die Bürger erhöhe und die Spezialisierung der Gerichte fördere. Es müsse aber sichergestellt werden, dass die Justiz den geänderten Anforderungen auch gerecht werden kann. Der Gesetzgeber sollte vor Verabschiedung des Gesetzes kritisch überprüfen, ob die Gerichte aktuell den Auswirkungen der Streitwerterhöhung in personeller wie organisatorischer Hinsicht gewachsen sind, erklärte der auf Vorschlag der CDU/CSU-Fraktion eingeladene Anwalt. Der Gesetzgeber sollte den vorliegenden Gesetzesentwurf zum Anlass nehmen, so Otte, eine weitergehende Spezialisierung der Amts- und Landgerichte zu erwägen. Überdies sollte Gerichten ein stärkerer Einsatz künstlicher Intelligenz ermöglicht werden. Dr. Thomas von Plehwe, Vorstandsmitglied des Deutschen Anwaltvereins, Rechtsanwalt beim Bundesgerichtshof, gab zu Bedenken, dass bei der Erhöhung des Zuständigkeitsstreitwerts unberücksichtigt bleibe, dass die Arbeitsbelastung der Amtsgerichte und der Landgerichte sehr unterschiedlich ist. Durch die Anhebung würden künftig vermehrt Streitigkeiten aus dem wirtschaftlichen Bereich unter Zeitdruck von Amtsgerichten zu erledigen sein, mit dem Risiko, dass die Qualität der Rechtsprechung nachlässt. Die Erhöhung führe zudem zu einer Verschiebung des Anwaltszwangs, was zulasten der Justiz und der Verbraucher gehen könne. Er sollte daher weiterhin an einen Streitwert von 5.000 Euro gebunden werden. Von Plehwe, der von der Fraktion Die Linke für die Anhörung vorgeschlagen worden war, sieht auch eine Anhebung der Rechtsmittelstreitwerte kritisch. Chancen im Bereich digitale Gewalt Franziska Benning von der gemeinnützigen Hilfsorganisation Hate Aid erklärte in ihrer Stellungnahme, dass der Gesetzentwurf Chancen für eine spezialisierte und kohärente Rechtsprechung im Bereich der digitalen Gewalt eröffne. Zugleich berge er für Betroffene Risiken für den effektiven Zugang zum Recht. Zur Stärkung des Rechtsschutzes für Betroffene digitaler Gewalt empfehle HateAid unter anderem, für einfach gelagerte Fälle durch Einführung einer Streitwertabsenkung die Hürden zu senken und ein leicht zugängliches und schnelles Verfahren zur Durchsetzung von Unterlassungssprüchen bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen einzuführen. Es gelte, die Vorteile der Spezialisierung zu nutzen, ohne den Zugang zum Recht zu erschweren, so die von der SPD-Fraktion nominierte Sachverständige in ihrer Stellungnahme. Laut Entwurf sollen bestimmte Sachgebiete streitwertunabhängig den Amts- oder Landgerichten zugewiesen werden. So sollen etwa nachbarschaftsrechtliche Streitigkeiten künftig grundsätzlich vor Amtsgerichten verhandelt werden, während Veröffentlichungsstreitigkeiten, Streitigkeiten aus Heilbehandlungen und Vergabesachen den Landgerichten zugewiesen werden. So solle eine weitergehende Spezialisierung erreicht werden. Daneben behebt der Entwurf ein Problem der gerichtlichen Praxis, wonach es bislang Gerichten nicht möglich ist, eine infolge einer nachträglichen Streitwertänderung oder infolge einer erfolgreichen Beschwerde gegen die Wertfestsetzung unrichtig gewordene Kostenentscheidung zu ändern. Entwurf sieht Änderungen in vielen Gesetzen vor Entsprechende Regelungen sind neben der Zivilprozessordnung auch für andere Verfahrensordnungen vorgesehen. Anpassungen erfolgen ferner im Verbraucherstreitbeilegungsgesetz, im Unterlassungsklagengesetz, in der Verbraucherstreitbeilegungs-Informationspflichtenverordnung sowie in der Luftverkehrsschlichtungsverordnung, nachdem die Europäische Plattform zur Online-Streitbeilegung eingestellt wurde. Schließlich wird eine irrtümlich aufgehobene Regelung im Gerichts- und Notarkostengesetz wieder eingeführt. Der Bundesrat spricht sich in seiner Stellungnahme (21/2466) in Bezug auf die Zuständigkeit für Kostenentscheidungen für eine weitere Änderung im Sozialgerichtsgesetz aus. Danach soll bei der nachträglichen Anpassung einer Kostenentscheidung an einen geänderten Streitwert künftig „das Gericht“ und nicht allein der Vorsitzende entscheiden. Die Bundesregierung lehnt den Vorschlag ab. Sie betont in ihrer Gegenäußerung, dass in der Sozialgerichtsbarkeit der Vorsitzende bereits über eine Vielzahl prozessualer Anträge allein entscheide. Eine Zuständigkeit des Gerichts statt des Vorsitzenden würde zu einem erheblichen Mehraufwand in Verfahren führen. Änderungsantrag der Regierungsfraktionen Der kurzfristig vorgelegte Änderungsantrag der Regierungsfraktionen sieht eine Erhöhung der Rechtsmittelstreitwerte in der Zivilprozessordnung und einer Vielzahl von Gesetzen vor. So soll die Berufungswertgrenze inflationsbedingt von 600 auf 1.000 Euro angehoben werden, die Wertgrenze für die Nichtzulassungsbeschwerde soll von 20.000 auf 25.000 Euro steigen und die Wertgrenzen für Kostenbeschwerden von 200 auf 300 Euro. Es sei zu erwarten, so der Antrag, dass sich durch die Erhöhung der Rechtsmittelstreitwerte die Anzahl der Rechtsmittelverfahren vor den Gerichten der Länder sowie vor dem Bundesgerichtshof geringfügig reduzieren wird. (mwo/05.11.2025)
