Bundestag beschließt Neufassung seiner Geschäftsordnung
Der Bundestag hat am Donnerstag, 16. Oktober 2025, eine Neufassung seiner Geschäftsordnung beschlossen. Nach halbstündiger Aussprache nahm er den entsprechenden Antrag der Koalitionsfraktionen CDU/CSU und SPD (21/1538) in der vom Geschäftsordnungsausschuss geänderten Fassung (21/2196) an. Dafür stimmten CDU/CSU und SPD, dagegen die AfD und die Linksfraktion. Bündnis 90/Die Grünen und der fraktionslose Abgeordnete Stefan Seidler (SSW) enthielten sich. Beschlossen wurde in geänderter Fassung auch der Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen zur Änderung des Abgeordnetengesetzes (21/1539), bei dem es um die Kürzung der Kostenpauschale und die Erhöhung der Ordnungsgelder für Abgeordnete geht. Auch dazu lag eine Beschlussempfehlung des Geschäftsordnungsausschusses vor (21/2197). Dafür stimmten CDU/CSU und SPD, dagegen die AfD. Die Grünen, die Linksfraktion und der Abgeordnete Seidler enthielten sich. Antrag der Koalitionsfraktionen Die Koalitionsfraktionen verweisen in ihrem Antrag (21/1538) darauf, dass die aktuelle Geschäftsordnung im Wesentlichen auf einer Reform im Jahr 1980 beruht. Die damals eingeführten Regelungen entsprächen in wesentlichen Teilen nicht mehr der parlamentarischen Praxis oder liefen ihr gar zuwider, zum Teil seien sie auch unklar gefasst. Ziel der Reform ist es dem Antrag zufolge, das Parlament als Ort der Debatte und Gesetzgebung zu stärken. Julia Klöckner: Die Spielregeln unseres Hauses Bundestagspräsidentin Julia Klöckner nannte die Regeln in der Geschäftsordnung vor Eintritt in die Debatte die „Spielregeln unseres Hauses“: „Sie ordnen Verfahren, sichern Rede und Gegenrede und binden Mehrheit wie Minderheit gleichermaßen.“ Die bislang jüngste größere Reform der Geschäftsordnung liege 45 Jahre zurück, sagte Klöckner. In dieser Zeit habe sich die Arbeitsweise des Bundestages spürbar verändert. Der vorliegende Vorschlag trage dem Rechnung, „indem er Verfahren neu fasst, Abläufe präzisiert und auch den Respekt voreinander in diesem Hohen Hause adressiert“. Es gehe dabei nicht um eine politische Richtung, sondern um das „Wie unseres parlamentarischen Arbeitens: um Verlässlichkeit der Verfahren, die Würde der Debatte und den fairen Ausgleich zwischen Mehrheit und Minderheit“. Die Geschäftsordnung bleibe ein lebendiges Regelwerk: „Erfahrungen aus der Praxis werden wir – wo nötig und sinnvoll – auf künftig immer wieder aufnehmen“, versprach die Bundestagspräsidentin. Vizepräsidentenwahl getrennt von der Präsidentenwahl Unter anderem wird künftig in der Geschäftsordnung die Vizepräsidentenwahl getrennt von der Präsidentenwahl geregelt. Die Koalitionsfraktionen wollten deutlich machen, dass das Vizepräsidentenamt von der freien und geheimen Wahl durch den Bundestag abhängt. Dieser Grundsatz soll dem sogenannten Grundmandat vorgehen, wonach jede Fraktion durch mindestens einen Vizepräsidenten im Präsidium vertreten sein sollte. Neu ist auch ein Passus zur Abwahl von Vizepräsidenten. Die Abstimmung über die Abwahl setzt einen Antrag von mindestens der Hälfte der Abgeordneten voraus. Der Koalitionsantrag hatte ursprünglich nur ein Quorum von einem Drittel der Abgeordneten vorgesehen. Der Geschäftsordnungsausschuss hob das Quorum auf Grundlage eines Änderungsantrags der Koalition zu ihrem eigenen Antrag auf die Hälfte an. Dieses Quorum gilt auch bei der Abwahl von Ausschussvorsitzenden und Schriftführern. Eine Vizepräsidentin oder ein Vizepräsident ist abgewählt, wenn mindestens zwei Drittel der Abgeordneten für die Abwahl stimmen. Beantragung von namentlichen Abstimmungen Eine weitere vom Geschäftsordnungsausschuss vorgenommene Änderung am ursprünglichen Antrag betrifft namentliche Abstimmungen. Sie müssen nun grundsätzlich spätestens bis zum Sitzungsbeginn am jeweiligen Tag beantragt werden. Begründet wird dies mit dem Stichwort „Familienfreundlichkeit“. Ursprünglich hatte die Koalition folgende Regelung vorgesehen: „Namentliche Abstimmung kann bis zur Eröffnung der Abstimmung von einer Fraktion oder von anwesenden fünf vom Hundert der Mitglieder des Bundestages verlangt werden.“ Bei der Wahl des Bundeskanzlers erhält im dritten Wahlgang auch der einzelne Abgeordnete das Vorschlagsrecht für den Fall, dass weder der Vorschlag eines Viertels noch von fünf Prozent der Mitglieder des Bundestages vorliegt. Damit soll eine unverzügliche Wahl im dritten Wahlgang gewährleistet werden. Gruppen, Reden, Erklärungen Für die Bildung von Gruppen, Zusammenschlüssen von Abgeordneten unterhalb der Fraktionsstärke, ist eine eigene Regelung vorgesehen. Darin heißt es, dass der Bundestag entsprechend der bisherigen Praxis über die Rechte der Gruppen entscheiden muss. Festgelegt wird ferner, dass bei einer Aussprache zu einer Vorlage in erster Beratung der erste Redner der einbringenden Fraktion angehören soll. Bei Vorlagen der Bundesregierung oder des Bundesrates sollen deren Vertreter als Erste reden. Bei der Beratung von Beschlussempfehlungen der Ausschüsse soll der erste Redner kein Mitglied oder Beauftragter der Bundesregierung sein. Mündliche Erklärungen zur Abstimmung und Erklärungen außerhalb der Tagesordnung sollen statt bisher höchstens fünf Minuten nur noch bis zu drei Minuten dauern. Zu Reden von Abgeordneten wird klargestellt, dass diese „mit Zustimmung des Präsidenten“ schriftlich zu Protokoll gegeben werden können. „Die Rede sowie alle anderen Beiträge zur Beratung sollen von gegenseitigem Respekt und der Achtung der anderen Mitglieder des Bundestages sowie der Fraktionen geprägt sein“, heißt es wörtlich. Kommt es nicht zu einer Vereinbarung über die Dauer einer Aussprache, soll der Präsident entscheiden, wobei sie höchstens eine Stunde dauern soll und die Redezeit im Stärkeverhältnis der Fraktionen verteilt wird. Auch über die Redezeit fraktionsloser Abgeordneter entscheidet der Präsident im Einzelfall. Ordnungsrufe und Ordnungsgeld Ist ein Redner während einer Rede dreimal zur Sache gerufen worden, muss ihm kkünftig der sitzungsleitende Präsident das Wort entziehen und darf es ihm zum selben Verhandlungsgegenstand nicht wieder erteilen. Ist ein Abgeordneter dreimal während einer Sitzung zur Ordnung gerufen worden, soll er vom sitzungsleitenden Präsidenten für die Dauer der Sitzung aus dem Saal verwiesen werden. Ein Ordnungsruf soll im Einzelfall auch nachträglich bis zum Ende „des auf die Verletzung der Ordnung oder der Würde des Bundestages folgenden dritten Sitzungstages“ erlassen werden können. Gegen einen Abgeordneten, der innerhalb von drei Sitzungswochen dreimal zur Ordnung gerufen wurde, soll der sitzungsleitende Präsident mit dem dritten Ordnungsruf zugleich ein Ordnungsgeld von 2.000 Euro, im Wiederholungsfall 4.000 Euro festsetzen. Dies soll bei einer nicht nur geringfügigen Verletzung der Ordnung oder der Würde des Bundestages auch ohne vorherigen Ordnungsruf möglich sein. Im begründeten Einzelfall soll der sitzungsleitende Präsident einem ausgeschlossenen Mitglied die Teilnahme an geheimen Wahlen und namentlichen Abstimmungen ermöglichen können. Zwischenfragen, Anhörungen, Ausschussvorsitzende Künftig sollen Zwischenfragen und Zwischenbemerkungen auch in Aktuellen Stunden möglich sein. Die Rechte der Opposition sollen gestärkt werden, indem eine Frist für die Durchführung von beschlossenen öffentlichen Anhörungen eingeführt wird. Schließlich ist vorgesehen, die Rechte der Ausschussvorsitzenden zu stärken. Sie sollen zur Einhaltung der parlamentarischen Ordnung und zur Achtung der Würde des Bundestages auffordern, bei Bedarf die Sitzung unterbrechen oder im Einvernehmen mit den Fraktionen beenden können. Wurde die Sitzung aufgrund einer „gröblichen Verletzung der Ordnung oder der Würde des Bundestages“ unterbrochen, soll der Vorsitzende mit Zustimmung von mindestens zwei Dritteln der anwesenden Ausschussmitglieder den betreffenden Abgeordneten von der Sitzung ausschließen können. Änderung des Abgeordnetengesetzes Der Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen (21/1539) in der vom Geschäftsordnungsausschuss geänderten Fassung (21/2197) sieht vor, dass einerseits das Ordnungsgeld und andererseits der Abzug von der Kostenpauschale höher ausfallen sollen als bisher. Die sitzungsleitende Präsidentin oder der Präsident kann derzeit bei Plenarsitzungen wegen einer nicht nur geringfügigen Verletzung der Ordnung oder der Würde des Hauses oder der Hausordnung des Bundestages gegen Abgeordnete ein Ordnungsgeld in Höhe von 1.000 Euro festsetzen, dass sich im Wiederholungsfall auf 2.000 Euro erhöht. In Zukunft sollen die Abgeordneten 2.000 Euro und im Wiederholungsfall 4.000 Euro zahlen müssen. Die Anhebung der Ordnungsgelder wird auch damit begründet, dass diese seit 2011 unverändert geblieben sind, während zugleich die Diäten der Abgeordneten anstiegen. Ordnungsgeld und Abgeordnetenentschädigung stünden nicht mehr in einem angemessenen Verhältnis, heißt es. Kostenpauschale-Kürzungen bei Abwesenheit Die zweite geplante Verschärfung betrifft die unentschuldigte Nichteintragung in die Anwesenheitsliste und das Fehlen bei namentlichen Abstimmungen. Derzeit wird die den Abgeordneten zustehende Aufwandsentschädigung für Mehraufwendungen am Sitz des Bundestages, die sogenannte Kostenpauschale, bei unentschuldigter Nichteintragung an Plenarsitzungstagen um 200 Euro, bei entschuldigter Nichteintragung um 100 Euro und bei einem ärztlich nachgewiesenen Aufenthalt in einem Krankenhaus oder Sanatorium oder ärztlich nachgewiesener Arbeitsunfähigkeit um 20 Euro gekürzt. Ab 1. November beträgt die Kürzung 300 Euro bei unentschuldigter Nichteintragung, 200 Euro bei entschuldigter Nichteintragung und nach wie vor 20 Euro bei Krankenhausaufenthalt oder Arbeitsunfähigkeit. Während der Mutterschutzfristen wegen Schwangerschaft oder wenn ein Mitglied des Bundestages ein ärztlich nachgewiesen erkranktes, in seinem Haushalt lebendes Kind unter 14 Jahren mangels anderer verfügbarer Aufsichtspersonen persönlich betreut, wird die Kostenpauschale von monatlich 5.349,58 Euro nicht gekürzt. Fehlt der Abgeordnete bei Wahlen mit Namensaufruf und namentlichen Abstimmungen, sollen künftig unabhängig von einer Entschuldigung 200 Euro von der Pauschale abgezogen werden, es sei denn, der Abgeordnete befindet sich auf einer genehmigten Dienstreise. Der Geschäftsordnungsausschuss ergänzte auf Koalitionsantrag den Fehlgrund der genehmigten und durchgeführten Dienstreise und bezog auch der Präsidentin angezeigte und für die Bundesregierung durchgeführte Dienstreisen mit ein. Bisher betrug der Abzug von der Kostenpauschale bei unentschuldigtem Fehlen bei einer namentlichen Abstimmung 100 Euro. Zwei Änderungsanträge zum Koalitionsantrag abgelehnt Abgelehnt wurden zwei Änderungsanträge zum Antrag der Koalitionsfraktionen. Die Linke trat unter anderem für eine geschlechtergerechte Lektorierung und eine familienfreundliche Ausgestaltung der Geschäftsordnung ein (21/2235). Ein weiterer Änderungsantrag (21/2286) des fraktionslosen Abgeordneten Stefan Seidler (SSW) hatte die Berücksichtigung von Abgeordneten von Parteien nationaler Minderheiten zum Ziel. Seidler forderte unter anderem, Abgeordnete, die ihr Mandat als Mitglied einer Partei nationaler Minderheit erworben haben, wie eine Fraktion zu behandeln. Anträge und Änderungsanträge der AfD abgelehnt Die erste Beschlussempfehlung des Geschäftsordnungsausschusses (21/2196) beinhaltete auch die Empfehlungen zur Ablehnung von zehn Anträgen der AfD-Fraktion zur Änderung der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages (21/1555, 21/1556, 21/1557, 21/1558, 21/1559, 21/1560, 21/1561, 21/1562, 21/1563, 21/1564) sowie von zwei Änderungsanträgen der AfD-Fraktion aus der konstituierenden Sitzung des Bundestages am 25. März 2025 zum Antrag der Koalitionsfraktionen auf Weitergeltung von Geschäftsordnungsrecht (21/1). Der Bundestag folgte mit den Stimmen aller übrigen Fraktionen diesen Empfehlungen. Direkt abgestimmt und abgelehnt wurden auch zwei weitere Anträge der AfD-Fraktion zur Änderung der Geschäftsordnung mit dem Ziel, „inhaltliche Kommentierungen durch den sitzungsleitenden Präsidenten“ auszuschließen (21/2224) und eine Liste der „ordnungsrufwürdigen Äußerungen, Begriffe und Handlungen zur Herstellung umfassender Transparenz“ einzuführen (21/2225). Anträge der Grünen und der Linken abgelehnt Abgelehnt wurden auch zwei Anträge der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Zum einen zielte die Fraktion auf eine Änderung der Geschäftsordnung des Bundestages (21/1950) abgezielt, damit künftig Petitionen im Plenum beraten werden können. Der zweite Antrag der Grünen (21/2231) trug den Titel „Starke Demokratie – Transparenz schaffen und Parlamentarische Kontrolle stärken“ ( 21/2231). Darin wollten die Grünen den Geschäftsordnungsausschuss des Bundestages mit Empfehlungen beauftragen, die sich auf den „legislativen Fußabdruck“, die Ausschussöffentlichkeit und das Beschwerdeverfahren Fragewesen beziehen. Keine Mehrheit fand schließlich auch ein Antrag der Linken mit dem Titel „Für eine wirkliche Modernisierung der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages – Fragerecht, Familienfreundlichkeit, geschlechtergerechte Sprache“ (21/2226). Für den Antrag stimmten neben der Linken auch die Grünen und der fraktionslose Abgeordnete Seidler, die Koalitonsfraktionen und die AfD lehnten ihn ab. Darin ging es der Fraktion neben der effektiven Durchsetzung des parlamentarischen Fragerechts auch darum, die Geschäftsordnung in geschlechtergerechter Sprache zu fassen und Maßnahmen für eine bessere Vereinbarung von Familie und Mandat zu treffen. (vom/hau/16.10.2025)