Gabriela Heinrich: Die Pressefreiheit steht vielerorts unter Druck
„Die Pressefreiheit steht vielerorts unter Druck, und die Arbeit von Journalistinnen und Journalisten wird immer gefährlicher“, sagt Gabriela Heinrich (SPD), stellvertretende Leiterin der deutschen Delegation zur Parlamentarischen Versammlung des Europarates (PVER), die vom 29. September bis 3. Oktober 2025 in Straßburg zu ihrer vierten Sitzungswoche in diesem Jahr zusammenkam. Dass der aus russischer Gefangenschaft freigekommene ukrainische Journalist und Menschenrechtsverteidiger Maksym Butkevych den Václav-Havel-Menschenrechtspreis in der Versammlung habe entgegennehmen können, sei ein „Hoffnungszeichen für alle politischen Gefangenen“. Im Interview spricht Gabriela Heinrich über die Themen der zurückliegenden Sitzungswoche, ihre Vorhaben als neue stellvertretende Leiterin der Delegation, die Verteidigung von Demokratie und Freiheitsrechten sowie über ihren persönlichen Gänsehaut-Moment im Plenum. Das Interview im Wortlaut: Frau Heinrich, was hat die Parlamentarierinnen und Parlamentarier in der letzten Sitzungswoche des Jahres beschäftigt? Ein Highlight war natürlich die Wahl der Generalsekretärin der Parlamentarischen Versammlung. Ich bin sehr froh, dass es wieder Despina Chatzivassiliou-Tsovilis geworden ist. Im Plenum gab es aus aktuellen Anlässen mehrere Aktualitäts- und Dringlichkeitsdebatten. Wenn man die Nachrichten verfolgt, ist das auch kein Wunder. Gaza, Ukraine, Türkei und vieles mehr sind Themen, mit denen sich auch der Europarat beschäftigen will und muss. Ansonsten gab es natürlich auch viel Routine. Im Plenum zum Beispiel die Berichte der Leitungsgremien und des ständigen Ausschusses. In den Fachausschüssen wurden Zwischenstände von Berichten vorgestellt und diskutiert. Der Schutz von Journalisten, ob in Gaza, Russland oder anderswo, war Gegenstand einer Dringlichkeitsdebatte. Warum hat sich die Versammlung das Thema jetzt vorgenommen? Die Themen Pressefreiheit und Schutz von Journalistinnen und Journalisten kommen in der Parlamentarischen Versammlung immer wieder vor. Man könnte sagen, das sind wirklich Kernthemen beim Europarat. Dass der Themenkreis jetzt im Plenum zweimal auf der Tagesordnung stand, ist insofern nichts Besonderes. Vielmehr spiegelt sich darin wider, dass die Pressefreiheit vielerorts unter Druck steht und die Arbeit von Journalistinnen und Journalisten immer gefährlicher wird. Insbesondere gilt das natürlich für Kriegsgebiete wie Gaza, aber auch für Länder, die autokratisch regiert werden. Hat es die Parlamentarische Versammlung in dieser Sitzungswoche geschafft, ihrer Vorbildfunktion gerecht zu werden und einen Beitrag dazu zu leisten, die Debatte um den Krieg in Gaza zu versachlichen? So ganz sachlich ist wohl keine Debatte rund um den Themenkreis im Nahen Osten. Auch die Parlamentarierinnen und Parlamentarier tun sich schwer, sachlich zu bleiben, wenn ein schrecklicher Krieg tobt, Menschen hungern und noch immer israelische Geiseln in der Gewalt von Terroristen sind. Also: Ohne Emotionen geht es bei diesem Thema wohl nicht. Trotzdem ist es wichtig, dass wir die Debatte führen. Diskutiert wurde schließlich über die humanitäre Situation der Zivilbevölkerung, die Tötung von Journalistinnen und Journalisten und auch über die Global Sumud Flotilla – also die Flotte, die sich mit Hilfsgütern auf den Weg nach Gaza gemacht hatte. Ich hätte mir gewünscht, dass auf der Suche nach gemeinsamen Lösungen noch die wichtige Rolle der israelischen Zivilbevölkerung deutlich geworden wäre – immerhin gehen auch dort Hunderttausende immer wieder auf die Straße, um gegen die israelische Regierung zu demonstrieren. Auch für den Václav-Havel-Menschenrechtspreis wurden dieses Jahr Journalisten und eine Journalistin nominiert. Mzia Amaghlobeli aus Georgien, der ukrainische Journalist und Menschenrechtsaktivist Maksym Butkevych und der in Aserbaidschan zu neun Jahren Haft verurteilte Ulvi Hasanli. Die drei wurden im Plenum vorgestellt. Was waren in der Rede des Preisträgers für Sie die wichtigsten Punkte? Die beiden Zweitplatzierten für den Vaclav Havel-Menschenrechtspreis 2025, Mzia Amaghlobeli und Ulvi Hasanli, konnten nicht an der Zeremonie in Straßburg teilnehmen, weil sie in Georgien beziehungsweise Aserbaidschan inhaftiert sind. Vertreterinnen mussten die Urkunde entgegennehmen und eine kurze Rede halten. Das allein zeigt ja schon, wie es mittlerweile um die Pressefreiheit in Georgien und Aserbaidschan bestellt ist. Nur der Erstplatzierte, der ukrainische Journalist und Menschenrechtsverteidiger Maksym Butkevych, konnte zur Versammlung sprechen. An seiner Rede hat mich vieles nachhaltig beeindruckt. Herausheben möchte ich, dass Maksym Butkevych so viel Hoffnung verbreitet hat. Ein Jahr vor der Preisverleihung saß er noch in einem russischen Gefängnis im besetzten Teil der Ukraine. Die Tatsache, dass er gerade vor den Abgeordneten in Straßburg sprechen kann, hat er zum Hoffnungszeichen gemacht. Zum Hoffnungszeichen für alle politischen Gefangenen in Russland und anderswo, dass sie einst freikommen. Da habe ich Gänsehaut gehabt. Was für Fortschritte gibt es bei der Einrichtung einer internationalen Kommission für den Schadensersatz unter dem Schirm des Europarates, die die Ansprüche der Opfer des russischen Angriffskrieges prüfen soll? Und was wird die Kommission letztlich bewirken können? Bisher sammelt der Europarat mit dem „Register of Damage“ Belege für Kriegsschäden in der Ukraine – eine riesige Beweisablage. Jetzt kommt der nächste Schritt: Die Staaten haben sich auf einen Entwurf für eine offene Konvention geeinigt, die eine internationale Schadensersatz-Kommission schafft. Auch die Europäische Union war eine treibende politische Kraft hinter der Initiative, hat die Verhandlungen aktiv begleitet und kann der Konvention selbst beitreten – das stärkt Reichweite und Legitimität des Vorhabens. Die Kommission soll eingereichte Schadensfälle prüfen und auf Grundlage klarer Regeln konkrete Entschädigungsbeträge festlegen. Damit entsteht erstmals ein institutionalisierter Mechanismus, über den Opfer des russischen Angriffskriegs ihre Ansprüche geltend machen können. Voraussichtlich im Dezember 2025 soll die Konvention in Den Haag zur Unterzeichnung geöffnet werden – ein wichtiger Schritt, um die neue Kommission formal auf den Weg zu bringen. Für Betroffene entsteht dann endlich ein geordneter, glaubwürdiger Weg zu einem Anspruchsbescheid. Während der Sitzungswoche ging es auch darum, eine Plattform für russische demokratische Kräfte ins Leben zu rufen, nach dem Vorbild eines solchen bereits existierenden Gremiums für Belarus, um die dortige Opposition zu einen und zu stärken. Wie ist unter russischen Exilpolitikern der Zuspruch für diese Plattform? Gibt es Synergien? Und was kann sie bewirken? Zunächst ist es ein starkes Zeichen, dass sich die Parlamentarische Versammlung jetzt wieder mit den russischen Oppositionellen beschäftigt, zumal sie das schon mehrfach getan hat. Das ist es ja, wofür der Europarat steht: Das Sichtbarmachen von Opposition für solche Länder, in denen die Opposition wegen Unterdrückung fast unsichtbar geworden ist. Nach allem, was ich weiß, funktioniert die Zusammenarbeit mit den belarussischen Menschenrechtsverteidigern sehr gut. Der Bericht, über den wir jetzt debattiert haben, nennt auffällige Parallelen hinsichtlich der demokratischen Kräfte aus Belarus und aus der Russischen Föderation. Insofern gehe ich schwer davon aus, dass die Zusammenarbeit von Europarat und russischen Oppositionellen auch gut funktioniert. Sie haben in einer Dringlichkeitsdebatte auch über die Bedrohungen europäischer Demokratien durch Russland debattiert. Worin genau besteht die Bedrohung? Bei der Parlamentarischen Versammlung diskutieren wir hier letztlich das, was auch in den Nachrichten kommt: Russische Drohnen fliegen über kritische Infrastruktur, russische Hacker greifen die IT-Infrastruktur an, Desinformation rollt aus Russland heran. Russland infiltriert andere Länder und finanziert russlandfreundliche Parteien und Organisationen, was wir sehr genau in Moldawien, Georgien, Armenien und auch in Ungarn und der Slowakei beobachten können. Um den Schutz von Demokratie und Rechtsstaat in Georgien, das 2008 von Russland angegriffen worden war, ging es in einer weiteren Dringlichkeitsdebatte. Wie findet die Versammlung Zugang zu den Parlamentariern dieses Landes, dessen Führung sich einst zu gemeinsamen europäischen Werten bekannt, dessen Delegation sich aber Anfang 2025 aus der Versammlung zurückgezogen hat? Georgien ist ein trauriges Beispiel dafür, was passiert, wenn sich ein Land von der Demokratie zur Autokratie wandelt. Übrigens durchaus auch unterstützt durch russische Einflussnahme. Noch in der Resolution 2585 vom Januar 2025 wurde die Akkreditierung der georgischen Delegation nur unter klaren Bedingungen bestätigt. Bis April dieses Jahres sollten in Georgien demokratische Standards eingehalten werden. Das war nicht der Fall. Und weil die Resolution auch die Stimmrechte der Delegationsmitglieder beschnitten hätte, kam niemand mehr aus Georgien. Ich bedauere es immer, wenn sich eine Delegation aus der Parlamentarischen Versammlung zurückzieht. Das habe ich damals sogar im Falle Russlands bedauert. Denn das bedeutet ja auch immer, dass kein Dialog mehr möglich ist. Georgien zeigt leider, dass sich die Regierung nicht mehr viel um die Errungenschaften von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit schert. Mit oppositionellen Kräften sind wir aber durchaus auch weiterhin in Kontakt – auch im Rahmen der Sitzungswochen in Straßburg. Selbst in EU-Mitgliedstaaten, die sämtlich dem Europarat angehören, geraten Demokratie, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit unter Druck. Auf der Tagesordnung stand unter anderem die Diskussion eines Berichts zur Lage der Demokratie, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit in Ungarn und Bulgarien, die einem Monitoring-Verfahren unterzogen wurden, da ihnen vorgeworfen wird, ihren aus ihrer Mitgliedschaft resultierenden Verpflichtungen nicht nachzukommen. Wie waren die Reaktionen der Delegationen der betroffenen Länder? Und was für Folgen hat ein solches Verfahren? Natürlich reagieren die Abgeordneten der jeweiligen Regierungspartei üblicherweise, indem sie die Feststellungen und Mahnungen leugnen, abtun, ins Lächerliche ziehen. Aber eine Delegation besteht nicht nur aus der Regierungspartei. Wenn alles mit rechten Dingen zugegangen ist, werden auch Oppositionelle nach Straßburg geschickt. Sonst würde übrigens die Delegation auch nicht akkreditiert, wenn nur noch Abgeordnete einer autoritären Regierungspartei dabei sind. Die Oppositionellen unterstützen natürlich die Kritik der Monitoring-Berichte oder sonstiger Resolutionen. Ganz nebenbei erfährt man von ihnen zudem aus erster Hand, wie es um Demokratie und Rechtsstaatlichkeit im jeweiligen Land bestellt ist. Und die Oppositionellen können dann die jeweiligen Beschlüsse des Europarats in ihren Ländern bekannt machen und ihre Arbeit damit besser begründen. Sind sich zu wenige Menschen der Errungenschaften, die der Europarat verteidigt, also ihrer Rechte, von denen sie profitieren, bewusst? Was Deutschland angeht, befürchte ich, ja. Zu lange haben das die meisten hier als selbstverständlich hingenommen. Der Europarat wurde als Quasselbude abgetan, höchstens noch als mahnende Instanz für andere Länder eingestuft. In Ländern dagegen, in denen es schon seit einiger Zeit autoritäre Tendenzen gab oder gibt, in der Türkei, in Ungarn oder in Polen zum Beispiel, ist sich die Zivilgesellschaft und ein nicht geringer Teil der Bevölkerung wahrscheinlich mehr bewusst, was auf dem Spiel steht. Die Versammlung hat auch der politischen Krise in Serbien eine Aktualitätsdebatte gewidmet und die dortigen Proteste der Bürgerinnen und Bürger gewürdigt. Was passiert dort gerade und welche Rolle könnte der Europarat dabei spielen? Um es gleich vorwegzunehmen: Der Europarat kann die Demokratie in einem Land nicht retten. Kann Korruption nicht verhindern. Aber er kann beobachten. Auf Beobachtungen müssen Bewertungen fußen. Und am Ende kann der Europarat Missstände und deren Behebung anmahnen. Die Zivilgesellschaft im Land kann das alles aufnehmen und ihren Forderungen damit mehr Gewicht geben, sodass sich womöglich wirklich etwas zum Besseren wendet. So ist es jetzt auch in Bezug auf Serbien. Es gibt dort ja viele Menschen, die gegen Korruption, gegen die fortschreitende Autokratisierung und gegen den Präsidenten Aleksandar Vučić demonstrieren. Die nicht wollen, dass Ländergrenzen entlang ethnischer Zugehörigkeiten neu gezogen werden, was zum Beispiel in Kosovo, Bosnien und Herzegowina ganz schlimme Folgen haben könnte. Auf der Tagesordnung stand außerdem die Wahl der Generalsekretärin der Versammlung. Despina Chatzivassiliou-Tsovilis aus Griechenland wurde für die kommenden fünf Jahre wiedergewählt. Sie ist verantwortlich für den Parlamentsbetrieb und übrigens die erste Frau in dieser Funktion. Was erwarten Sie von ihrer Amtsführung? Zuerst mal muss ich sagen, dass ich Frau Chatzivassiliou-Tsovilis sehr schätze! Sie hat seit 2021 im Amt der Generalsekretärin einen wirklich guten Job gemacht. Man hat gemerkt, dass sie eine Praktikerin und Macherin ist und schon vorher für mehrere Ausschüsse gearbeitet hat, auch in leitender Position. Die Generalsekretärin bei der Parlamentarischen Versammlung ist sozusagen die Schnittstelle zwischen Organisation und Politik. Die Sekretariate, die ihr unterstellt sind, arbeiten übrigens viel mehr politisch als das zum Beispiel bei der Bundestagsverwaltung der Fall ist. Despina Chatzivassiliou-Tsovilis muss angesichts der auch beim Europarat knappen Kassen weiterhin dafür sorgen, dass der Laden läuft. Sie muss Fliehkräften nach außen entgegenwirken und dafür sorgen, dass auch im Inneren nicht die Kräfte überhandnehmen, die gar nicht für die Werte des Europarats stehen, Stichwort Rechtsextremisten. Ich beneide sie nicht um diese Aufgaben! Nach einer Pause in den letzten Jahren sind Sie jetzt wieder Vollmitglied der deutschen Delegation und auch deren stellvertretende Leiterin. Was haben Sie sich vorgenommen? Auch innerhalb der deutschen Delegation gibt es völlig unterschiedliche Auffassungen über den Wert und über die Werte des Europarats. Ich möchte Knut Abraham, unseren Delegationsleiter, dabei unterstützen, zusammen mit den Mitgliedern der demokratischen Fraktionen SPD, Grüne, CDU/CSU und Die Linke das voranzubringen, wofür der Europarat steht. Wir müssen uns innerhalb der demokratischen Fraktionen immer verständigen, damit keine Resolutionen verwässert werden und sich keine unheiligen Allianzen auftun zwischen autoritären Regierungen und Rechtsextremisten aus anderen Ländern. Die AfD findet bekanntlich die zunehmende Autokratisierung Georgiens und Ungarns richtig gut. Und sie findet immer neue Wege, den Europarat für ihre Zwecke zu instrumentalisieren – etwa indem sie in Debatten zu Polen oder der Türkei mit Redebeiträgen zu einer angeblich mangelhaften Rechtsstaatlichkeit in Deutschland auftritt. Zusammen mit den Demokraten anderer Länder gilt es, den Fliehkräften im Europarat entgegenzuwirken. (ll/13.10.2015)