Experten gegen CO2-Speicherung für Gaskraftwerke

Die Mehrheit der Sachverständigen war sich einig, dass Gaskraftwerke – anders als geplant – von der Novellierung des Kohlendioxid-Speicherungsgesetzes (21/1494) der Bundesregierung ausgeschlossen werden sollen. Das wurde während einer öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Wirtschaft und Energie am Montagmittag, 13. Oktober 2025, deutlich. Der Gesetzentwurf zielt darauf ab, den kommerziellen Einsatz von Technologien zur Abscheidung und Speicherung von CO2 (CCS) sowie zur Nutzung von CO2 (CCU) zu ermöglichen. Mit der Technologie soll nicht nur der rechtliche Rahmen für den kommerziellen Einsatz von CCS- und CCU-Technologien geschaffen werden, sondern die Technologie soll einen Beitrag zur Erreichung der Klimaziele leisten. Der Gesetzentwurf legt auch die Grundlage für den Bau von Pipelines zum Transport von CO2 und zur Speicherung in unterirdischen Gesteinsschichten, was besonders umstritten ist. Experte: Rechtsrahmen schnell verabschieden Für Befürworter der CCS/CCU-Technologie wie Matthias Belitz, Bereichsleiter für Nachhaltigkeit, Energie und Klimaschutz beim Verband der Chemischen Industrie (VCI), ist die von der Bundesregierung geplante Änderung des Kohlendioxid-Speicherungsgesetzes (KSpG) „das richtige Signal“. Nun müsse der Rechtsrahmen „schnell“ verabschiedet werden, um noch eine Chance darauf zu haben, bereits ab 2030 bis 2032 CO2-Abscheidung und CO2-Speicherung vornehmen zu können. „Offshore-Projekte haben eine Vorlaufzeit von sieben bis zehn Jahren“, rechnete Belitz vor. Die Errichtung, der Betrieb sowie die wesentliche Änderung von Kohlendioxidleitungen und Kohlendioxidspeichern lägen nun „im überragenden öffentlichen Interesse“, das sei zu begrüßen. Zudem plädierte er dafür, dass auch mit Erdgas betriebene Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen (KWK) Zugang zum CO2-Pipelinenetz erhalten müssen. Aufgrund der Relevanz für industrielle Produktionsstandorte und mangelnder anderweitiger Transformationsalternativen sollten KWK-Anlagen anders als „gewöhnliche“ erdgasbasierte Kraftwerke behandelt werden. Aus Sicht des VCI sollten Erdgas-KWK von der CCS-Förderung über Klimaschutzverträge oder die Bundesförderung Klimaschutz und Industrie umfasst werden. „Der Zugang zu CCS und zur Förderung muss auch für zukünftige erdgasbasierte KWK-Kraftwerke gelten, die noch nicht gebaut sind“, forderte Belitz. Außerdem sollte die Bundesnetzagentur vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWE) beauftragt werden, ein CO2-Kernnetz analog zum Wasserstoffkernnetz zu planen. CO2 und Wasserstoff müssten in der stofflichen Nutzung zusammengedacht werden. „Industriepolitisches Standortgesetz und Klimagesetz zugleich“ Auch Dr. Andre Brauner, Abteilungsleiter Liegenschafts- und Planungsrecht, OGE Open Grid Europe GmbH, Fernleitungsnetzbetreiber für Erdgas, sprach sich für eine schnelle Umsetzung des Gesetzes aus. „Wir stehen an einer Wegscheide. Es entscheidet sich, ob Deutschland in der Lage ist, unvermeidbare Industrieemissionen zu mindern oder nicht“, sagte Brauner. Ohne die Möglichkeit, CO2 zu speichern, drohe eine weitere Abwanderung von Unternehmen ins Ausland, vor allem aus der Chemie-, Kalk- und Zementindustrie. Diese Unternehmen seien jedoch für die Versorgungssicherheit und für die wirtschaftliche Souveränität unseres Landes „unverzichtbar“. Das vorliegende Gesetz nannte Brauner ein „industriepolitisches Standortgesetz und ein Klimagesetz zugleich“. Der Bundestag solle das Gesetz zügig verabschieden, damit Planungssicherheit hergestellt werde und der Aufbau einer CO2-neutralen Infrastruktur „tatsächlich beginnen kann“, so Brauner. Experte: On-Shore-Nichtzulässigkeit ist offene Flanke Prof Dr. Sven-Joachim Otto, Rechtsanwalt und Mitglied des Direktoriums des Institutes für Berg- und Energierecht der Ruhr Universität Bochum Energiesozietät GmbH, begrüßte den Gesetzentwurf, weil er im Gegensatz zu dem von der Ampelregierung geplanten Vorschlag den Transport und die Speicherung gleichberechtigt nebeneinander stelle, Beschleunigungsinstrumente verankere und die Umwidmung bestehender Gasleitungen für CO2 erleichtere. Doch er sehe noch „Optimierungsbedarf“. Das „überragende öffentliche Interesse“ sei zu begrüßen und solle auf jedem Fall festgelegt werden. Die bundesweite On-Shore-Nichtzulässigkeit – außer Forschung – mit Länder-„Opt-in“ bleibe restriktiv und erzeuge Rechts- und Standortunsicherheit. Das sei „eine offene Flanke“, so Otto. Ein umgekehrtes Leitbild sei technologieoffener und sollte im Gesetzentwurf nachgebessert werden. Der Bund solle für On-Shore-Projekte „in die Verantwortung gehen“. Bei der Abstandsregelung im Meer würde er von „der starren acht-Kilometer-Regel Abstand nehmen“. Das Verbot in Marine Protected Areas überzeuge. Sachverständiger: Umstieg auf erneuerbare Energien sinnvollste Option Eine andere Auffassung vertrat Prof. Dr. Wolfgang Köck, Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU). Er forderte, das oberste Ziel sollte sein, die Entstehung von Treibhausgasemissionen von vornherein zu vermeiden. Zahlreiche Studien zeigten, dass der Umstieg von fossilen auf erneuerbare Energien in den meisten Sektoren die wirtschaftlich und technologisch sinnvollste Option darstelle und für den Klimaschutz unerlässlich sei. Im Gegensatz dazu trügen die derzeit geplanten Rahmenbedingungen für die Nutzung von CCS dazu bei, dass Abhängigkeiten von fossilen Technologien verfestigt würden. Der notwendige Umbau von Energiewirtschaft und Industrie werde dadurch verzögert oder blockiert. „Mit dem vorliegenden Entwurf des Kohlendioxid-Speicherung- und -Transport-Gesetzes (KSpTG) werden diese Weichen falsch gestellt“, sagte Köck. Die CCS-Nutzung werde nicht auf unvermeidbare Emissionen ausgerichtet. Vielmehr hat sich die Bundesregierung im Koalitionsvertrag vorgenommen, CCS auch für Gaskraftwerke zu ermöglichen. Der Gesetzentwurf ermögliche einen sehr breiten Einsatz von CCS. Eine unzureichend regulierte Markteinführung von CCS könne jedoch den Umstieg auf erneuerbare Energien und die Vermeidung von CO2-Emissionen aus Industrie und Energiewirtschaft verzögern und verteuern, so Köck. „CCS bietet Mehrwerte“ Fabian Liss, Referent für Industrielles Carbon-Management bei der Bellona Deutschland, einer Organisation, die sich für die Reduzierung von Treibhausgasemissionen einsetzt, um die globale Erwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen, forderte hingegen: „Deutschland braucht jetzt zügig eine ehrliche und strategische Entscheidung.“ Allein die Prozessemissionen in der Zement- und Kalkindustrie sowie der thermischen Abfallwirtschaft machten zusammen rund ein Drittel der industriellen Treibhausgasemissionen Deutschlands aus. „Ohne CCS können diese Emissionen auch langfristig nicht eliminiert werden, da Alternativen nicht hinreichend vorhanden sind“, sagte Liss. Die Integration von CCS als ein Baustein in ein vielfältiges Portfolio von Klimaschutzinstrumenten biete zudem Mehrwerte, etwa bei der Produktion von low-carbon („blauem“) Wasserstoff als temporäre Ergänzung zum grünen Wasserstoff oder dem Umgang mit Restemissionen in transformierten Prozessrouten. Auch bei der Emissionsvermeidung in der Chemieindustrie solle CCS trotz grundsätzlicher Elektrifizierbarkeit vieler Anlagen nicht vorschnell ausgeschlossen werden, da standortspezifische Faktoren die von den Unternehmen avisierten Transformationspläne beeinflussen könnten. Hingegen sei die Anwendung von CCS im deutschen Stromsektor „nicht empfehlenswert“, erklärte Liss. Statt über CCS als Möglichkeit der partiellen Dekarbonisierung von stromgeführten Gaskraftwerken zu diskutieren, solle die Arbeit an einer System- und Flexibilisierungsstrategie und insbesondere die Strommarktreform inklusive eines technologieoffenen Mechanismus für die Sicherung von Kapazitäten für die Wahrung der Versorgungssicherheit priorisiert werden. „Bemühungen um Emissionsvermeidungen wird untergraben“ Die Vertreter von Umweltverbänden warnten vor einer zu positiven Sicht auf die CCS-Technologie. Jörg-Andreas Krüger, Präsident des Naturschutzbund Deutschland (NABU), betonte, der NABU sehe mit Sorge, dass der Gesetzesentwurf CCS-Technologie für alle Branchen prinzipiell öffnet. Dies untergrabe die Bemühungen um Emissionsvermeidungen und erwecke den Eindruck unbegrenzt verfügbarer technischer Speicherkapazitäten. Aktuelle wissenschaftliche Studien zeigten, dass die Speicherkapazitäten insbesondere in der Nordsee stark begrenzt sind. Der Einsatz von CCS müsse deshalb strikt auf unvermeidbare Restemissionen in ausgewählten Industrieprozessen wie Kalk und Zement beschränkt bleiben. CCS sei nicht nur energieintensiv: Abscheidung und Transport verursachten hohe Kosten für den Aufbau der notwendigen Infrastruktur, sei es für den Bahn- oder Schiffstransport sowie den Bau der notwendigen Hubs an den Häfen. Laut Krüger begrüßt der NABU das im Gesetzentwurf vorgesehene Verbot einer Speicherung in Meeresschutzgebieten und einer acht Kilometer breiten Pufferzone. Das Meer dürfe nicht als Auslagerungsort für an Land umstrittene Technologien dienen, Naturschutz und Meeresumweltziele müssten Vorrang haben. Das im Gesetzentwurf formulierte „überragende öffentliche Interesse“ für Kohlenstofftransport und Speicherung sehe der NABU kritisch. Die inflationäre Anwendung des überragenden öffentlichen Interesses bei gleichbleibend knappen Kapazitäten und Tools in Planungs- und Genehmigungsbehörden allein werde nicht die erwünschte Beschleunigung herbeiführen. „Gesetz ist gefährlich für den Wirtschaftsstandort“ Die schärfste Kritik kam von Kerstin Meyer, Leiterin Wirtschaft und Finanzen beim Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND). Sie sprach sich gegen das Kohlendioxidspeicherungsgesetz aus. Der BUND lehne nicht nur den Gesetzentwurf ab, sondern spreche sich grundsätzlich gegen die Nutzung der CCS-Technik aus. „Das Gesetz ist gefährlich für den Wirtschaftsstandort, denn es schafft vor allem Unsicherheit und hemmt den naturverträglichen Ausbau der erneuerbaren Energien“, sagte Meyer. Zudem sei das Vorhaben der Bundesregierung nicht technologieoffen, denn es blockiere den Weg in die industriepolitische Zukunft und versenke Milliarden in mehr fossile und absehbar nutzlose CO2-Infrastruktur. „Das Gesetz stellt die Weichen gravierend falsch. Jahre, wenn nicht Jahrzehnte könnten verschwendet werden, während die Klimakrise weiter angeheizt wird“, warnte Meyer. Trotz massiver öffentlicher Subventionen seien die meisten CCS-Projekte gescheitert. Für die meisten Industrieanwendungen, die in Deutschland diskutiert würden, für die Müllverbrennung, Zementherstellung oder an Bioenergie, liege die langfristige Ausfallrate von CCS-Projekten bei hundert Prozent. „Landkreise in Entscheidungfindung einbinden“ Dr. Klaus Ritgen, Referent beim Deutschen Landkreistag und Städte- und Gemeindebund, sagte, aus Sicht seiner Organisation stehe fest, dass Standortentscheidungen für konkrete Lagerstätten ein Höchstmaß an Akzeptanz verlangten. „Das setzt auch voraus, dass die Landkreise und Gemeinden von vornherein in die Entscheidungsfindung eingebunden werden“, forderte Ritgen. Auch wenn es richtig sei, die Entstehung von CO2-Emissionen von vornherein so weit wie möglich zu reduzieren, gelte es in Rechnung zu stellen, dass es Branchen und Industriezweige gebe – dazu zähle auch die kommunal verantwortete Müllverbrennung –, in denen nach aktuellem Stand der Technik die Abscheidung und Nutzung bzw. dauerhafte Speicherung die einzigen verfügbaren Möglichkeiten zur Reduzierung der CO2-Emissionen seien. Zudem sollten die „systemisch erforderlichen Gaskraftwerke“ technisch in der Lage sein, zu einem späteren Zeitpunkt mit Wasserstoff betrieben zu werden. „Der Einsatz von Gaskraftwerken ist nach aktuellem Stand zur Gewährleistung einer sicheren und unterbrechungsfreien Energieversorgung erforderlich“, sagte Ritgen. Städtetag übt Kritik an Vorhaben der Regierung Dr. Christine Wilcken, stellvertretende Hauptgeschäftsführerin des Deutschen Städtetags, verdeutlichte, die Vermeidung von Treibhausgasemissionen müsse weiter Vorrang bei der Erreichung der Klimaziele haben. Nur für unvermeidbare Restemissionen sollten Kompensations-, Transport-, Speicher- und Abscheidungstechnologien herangezogen werden. Der von der Bundesregierung vorgesehene unbeschränkte Einsatz von CCS/CCU an Gaskraftwerken werde vom Städtetag allerdings als kritisch eingeschätzt. „Wir sehen eine große Gefahr, dass dies in der Energieerzeugung zu einem Lock-in-Effekt in den fossilen Energieträger Erdgas führen kann“, sagte Wilcken. Deshalb müsse sichergestellt werden, dass neue Gaskraftwerke so ausgestaltet würden, dass sie perspektivisch mit Wasserstoff betrieben werden können, um eine zukünftige Umstellung auf klimaneutrale Energieträger zu ermöglichen. Gerade für die Abfallverwertung sehe der Deutsche Städtetag CCS und CCU „als zentrale Bausteine“, da auch bei einer konsequenten Trennung und Wiederverwertung von Abfall unvermeidbare Reststoffe anfielen, die thermisch behandelt werden müssten. Aus diesem Grund sei der Einsatz von CCS/CCU in der Abfallverwertung erforderlich. (nki/13.10.2025)